“Säg mal, wie machsch du das alles?” Da ich mich gerne und mit Überzeugung engagiere, mich viele Bereiche interessieren und ich bei „Problemen“ nicht wegschauen kann, ist mir unklar, was die Frage soll. Ich habe nicht mehr Zeit als alle anderen, ich nutze diese einfach gerne, um hoffentlich etwas zu bewegen, zu verändern und im besten Fall etwas zu verbessern – für mich ist die Aktivität Kraftquelle, Inspiration und Motivation zugleich. Eine kurze Umfrage meinerseits in verschiedenen Vereinen ergab: Bei engagierten Menschen ist die Titelfrage wohl noch häufiger anzutreffen als “Wie geht’s?”.
Es folgt: Ein Einblick in meinen persönlichen Alltag, ein Plädoyer für’s Engagement und ein Danke an alle, die unsere Gesellschaft tragen und jene, die die „Engagierten“ unterstützen.
Ein Tag
Am Abend vorher: Zurechtlegen der Fixpunkte im Tag sowie den dazugehörigen ÖV-Verbindungen. Die Pausen dazwischen mit ToDo’s vollstopfen, die Mahlzeiten organisieren. Dann ab ins Bett, oft kurz nach 21 Uhr. Wecker klingelt um 5.15 Uhr, später um 5.17, 5.19., 5.22, 5.27. Zuerst fünf Minuten Yoga, dann anziehen für den Tag. Frühstück gibt’s auf dem Weg. Im Zug nochmal die Augen schliessen, schliesslich ab in die Schule. Den Kindern zuhören beim Erzählen vom Fussballmatch, vom Elterngespräch, vom ersten Verliebtsein - vom Leben. Daneben drucke ich die letzten Blätter aus, gehe die Anwesenheitsliste durch. Es folgen drei Lektionen lehren, lernen, organisieren, motivieren, “pssst!” machen, machen lassen, lachen, schwitzen, geniessen, ermahnen, erklären, staunen. Dann: Pause. Durchatmen. Für mich heisst das: Kaffee holen, Zimmer abschliessen, kurz in mich kehren, vielleicht blitz-meditieren. Abschalten.
Weiter im Tag im Schnelldurchlauf: Zwei weitere Lektionen folgen, Mittagessen aufwärmen, kurze Gespräche im Lehrerzimmer, später zum Zug sputen, dort Telefone machen, Prioritätenliste abarbeiten, an die Pädagogische Hochschule fahren, dort 90 Minuten ohne Pause berieseln lassen, Notizen schreiben, dazwischen Mails beantworten. Endlich: Pause. Ich nutze sie wieder, um mich zurückzuziehen. Durchatmen. Dann wieder in den Austausch mit Kommilliton:innen, zweite Vorlesung, wieder Notizen, zuhören, aufsaugen. Um 18 Uhr den Zug nach Turbenthal nehmen, Sitzung der Arbeitsgruppe der Energiekommission steht an. Protokoll schreiben, Ideen liefern, Anlässe reflektieren, neue Aufgaben fassen. Im Zug zurück dann Protokoll bereinigen, abschicken, die neuen Herausforderungen gleich angehen. Schliesslich: Nach Hause laufen. Durchatmen. Ohne Musik, nur ich und die letzten Vögel.
Plädoyer für’s (politische) Engagement
Vermisse ich den Fokus der Gemeinde bei einem Thema, organisiere ich einen Anlass - in aller Regel unterstützt die Gemeinde gute Ideen auch finanziell. Stört mich ein Gesetzesparagraph, mache ich einen Änderungsvorschlag und trage diesen an eine mir bekannte Politikerin. Die Wege der Partizipation in der Schweiz sind oft viel kürzer, als manche denken. Fast alle Politiker:innen jeder Partei lassen sich gerne auf Vorschläge aus der Bevölkerung ein und schätzen das Engagement. Wirklich! Mir ist bisher (prove me wrong!) kein anderes Land begegnet, welches das Engagement jeder einzelnen Person so fest schätzt wie die Schweiz. Hier rede ich aus persönlicher Erfahrung. Die Bewunderung, Unterstützung und Neugier, die einem entgegen kommt, wenn man sich politisch engagiert in der Schweiz ist alleine schon Treiber für mich, noch mehr Einsatz zu leisten. Für Sie auch? Probieren Sie’s aus!
Danke liebe Aktive
2019 beteiligten sich 44 % der Wohnbevölkerung der Schweiz als Aktivmitglieder an den Tätigkeiten von Vereinen oder anderen Gruppen (BfS). Darauf dürfen wir stolz sein. Die Schweiz als Land der Vereine. Wenn man bedenkt, dass die allermeisten dieser Aktivitäten, vor allem in leitenden Funktionen, freiwillig und unentgeltlich geschehen, kann der Dank kaum gross genug sein. Die Zeit, die in die Pfadi investiert wird, um Lager zu organisieren, in den Handballclub, um die Heimspieltage zu tragen, in den Tierschutzverein, um mit fremden Hunden Gassi zu gehen - unglaublich.
Also wie schaffst du das nun?
Mit breiter Unterstützung von Freunden und Familie, Spass an der Sache und guter Organisation - genau so wie wir alle irgendwie versuchen, unser Leben zu meistern. Egal, wo man sich engagiert.
Veröffentlicht am 13. Mai 2022 im "Der Tössthaler".